Religion und Sexualmoral in Indien
Eine Studie zum gesellschaftlichen Umgang mit hinduistischen Traditionen
Zusammenfassung
Die Lektüre des Kamasutra und die Betrachtung erotischer Darstellungen in indischen Tempelanlagen erwecken bei westlichen Rezipient*innen den Eindruck, die Hindus müssten aufgrund ihrer religiösen Überlieferungen einen offenen Umgang mit Sexualität haben. Dieser Umgang ist ihnen jedoch aufgrund der repressiven Sexualmoral nur eingeschränkt möglich.
Die vorliegende empirische Studie beschäftigt sich mit der Frage, wie die heutigen Inder*innen mit ihren religiösen Traditionen umgehen. Diese Traditionen sind zum festen Bestandteil einer postmodernen indischen Gegenwartskultur geworden. Deren Hauptmerkmal ist religiöse Toleranz. So wird der Hinduismus des 21. Jahrhunderts zu einem bewusst offen gehaltenen Lebenskonzept.
- I–XVI Titelei/Inhaltsverzeichnis I–XVI
- 1–2 I. Vorwort 1–2
- 1. Zum Erkenntnisinteresse
- 3–8 II. Einleitung 3–8
- 1. Die Forschungsliteratur über Religion und Sexualmoral in Indien
- 2. Die bisherigen Forschungsansätze zum Verständnis von Sexualität in hinduistischen Text- und Bilddarstellungen
- 3. Eine Studie zum Funktionswandel von Sexualität in der „offene[n] Gesellschaft“ (K. R. Popper) im Indien des 21. Jahrhunderts
- 9–212 III. Hauptteil 9–212
- A. Das Verhältnis von Religion und Sexualität im Hinduismus
- 1. Die erotischen Figuren an indischen Tempeln
- 1.1 Die Tempel mit erotischen Motiven als Pilgerorte und Ausflugsziele
- 2. Die erotischen Figuren im Kontext des Tantrismus
- 2.1 Die unterschiedlichen Funktionen der tantrischen Darstellungen
- 2.2 Fruchtbarkeit und Sexualität im rituellen Kontext des Tantrismus
- 2.3 Die Befreiung durch die Vereinigung mit dem Göttlichen
- 2.4 Die Yantras als erotische Geheimsprache
- 2.5 Die Darstellung der tantrisch–yogischen Philosophie an den Tempelwänden
- 3. Das Kama im Kontext der vier brahmanischen Lebensziele
- 3.1 Das Dharma als erstes Lebensziel
- 3.1.1 Die unterschiedlichen Lebensphasen des brahmanischen Mannes
- 3.1.2 Das Manu Smriti als Gesetzbuch zum Befolgen des Dharmas
- 3.2 Das Artha als zweites Lebensziel
- 3.2.1 Das Streben nach materiellen Gütern
- 3.2.2 Die politische Bedeutung des Artha Shastras
- 3.3 Das Kama als drittes Lebensziel
- 3.3.1 Das Kamasutra als Lehrbuch der Liebe und Sexualität
- 3.4 Moksha als viertes Lebensziel
- 3.4.1 Das Erlangen von Moksha durch Entsagung
- 3.5 Die Darstellungen des Kamasutras an den Tempelwänden
- 3.5.1 Die Kunst des Liebens in den Büchern des Kamasutra
- 3.5.2 Die Techniken der sexuellen Vereinigung im Kamasutra
- B. Der gesellschaftliche Umgang mit Religion und Sexualmoral im Indien des 21. Jahrhunderts
- 1. Der Feldzugang: Zwei Forschungsreisen nach Indien
- 2. Die methodischen Vorüberlegungen
- 2.1 Die Form der Interviewführung
- 2.2 Zur Auswahl relevanter Interviews
- 3. Der Verlauf der Interviews
- 3.1 Die zentrale Eingangsfrage
- 3.2 Die Multiperspektivität der Antworten
- 4. Die religiösen Gründe für eine veränderte Sexualmoral im heutigen Indien
- 4.1 Der Hinduismus und die Sexualmoral in Indien
- 4.1.1 Die Tabuisierung von Sexualität durch das indische Kastensystem
- 4.1.2 Liberale Sexualität als Privileg der Gebildeten, Reichen und Mächtigen im alten Indien
- 4.1.3 Das Prinzip der Reinheit als Bestandteil des Hinduismus
- 4.1.4 Die Vielseitigkeit des Hinduismus ermöglicht sowohl die Unterdrückung als auch die Liberalisierung von Sexualität
- 4.1.5 Der unterschiedliche Umgang mit Sexualität in der Stadt und auf dem Land
- 4.1.6 Das Fortbestehen religiöser Bräuche, die Sexualität beinhalten
- 4.1.7 Die moralisch-ethischen Regeln des Hinduismus verlangen das Ausleben und die Disziplinierung der Sexualität
- 4.1.8 Die erotischen Darstellungen am Khajuraho-Tempel als Beschreibung des Weges zu Moksha
- 4.1.9 Die Vieldeutigkeit hinduistischer Texte aus der Sicht ihrer modernen indischen Rezipienten
- 4.1.10 Der besondere Status der Transgender-Menschen im Hinduismus
- 4.1.11 Die liberale Beziehung des Hinduismus zur LGBT-Sexualität
- 4.2 Die abrahamitischen Religionen und die Sexualmoral in Indien
- 4.2.1 Keine Toleranz abrahamitischer Religionen gegenüber der Sexualität
- 4.2.2 Die muslimische Invasion schränkt die Rechte der Frauen ein
- 4.2.3 Die christliche Vorstellung einer sündhaften Sexualität als koloniales Erbe in Indien
- 5. Die politischen Gründe für eine veränderte Sexualmoral im heutigen Indien
- 5.1 Das Patriarchat ist für die Unterdrückung von Sexualität verantwortlich
- 5.2 Die britische Kolonialzeit als historische Zäsur
- 5.3 Die politische Reglementierung von Sexualität
- 5.4 Die derzeitige politische Hindutva–Bewegung instrumentalisiert Sexualität
- 6. Die kulturellen Gründe für eine veränderte Sexualmoral im heutigen Indien
- 6.1 Die Tabuisierung von Sexualität als kulturelle Verhaltensnorm
- 6.2 Durch Bildung verändert sich der Umgang mit Sexualität
- 7. Der heutige Bezug der Inder zum Hinduismus
- 7.1 Der Hinduismus wird nicht als Religion wahrgenommen und ist im Alltag bedeutungslos
- 7.2 Der Hinduismus als im Lebensalltag praktizierte Religion
- 7.3 Der Hinduismus ist keine Religion mehr, sondern ein ‚Way of Life‘
- 7.4 Der Hinduismus als bewusst gewählter Lebensweg zu Moksha
- 7.5 Das Göttliche im Hinduismus als Grundlage eines fortschrittlichen Umweltbewusstseins
- 213–236 IV. Schluss 213–236
- 1. Der Widerspruch zwischen den Jahrhunderte alten religiösen Traditionen und der gegenwärtigen Sexualmoral bleibt bestehen
- 2. Religiöse Aspekte im gesellschaftlichen Diskurs über Sexualität
- 2.1 Die hinduistische Überlieferung von Göttergeschichten
- 2.2 Die aktuelle Bedeutung des Manu Smriti
- 2.3 Die Zweigeschlechtlichkeit der Götter im Hinduismus
- 2.4 Die Vergöttlichung von Mensch und Natur
- 3. Die behauptete Repression von Sexualität in den abrahamitischen Religionen
- 4. Die aktuelle Bezüge der Interviewpartner*innen zu hinduistischen Traditionen
- 4.1 Das Verhältnis der befragten Hindus zu den hinduistischen Texten
- 4.2 Das Verhältnis der befragten Hindus zu hinduistischen Ritualen und Glauben
- 5. Die hinduistischen Traditionen als Teil der indischen Gegenwartskultur
- 5.1 Die individuellen Ausgestaltungen des Hinduismus im Lebensalltag
- 5.2 Die persönliche Götterwahl der befragten Hindus
- 5.3 Die Vielfältigkeit der Deutungen von Texten über Religion und Sexualmoral im Hinduismus
- 5.4 Religiöse Toleranz als Hauptmerkmal der südindischen Gesellschaft
- 5.5 Der zunehmende Bedeutungsverlust des indischen Kastensystems
- 5.6 Der Hinduismus als bewusst offen gehaltenes Lebenskonzept
- 237–240 Literaturverzeichnis 237–240