Die NSU-Terrorserie und die staatliche Ermittlungspflicht
Verbrechensaufklärung und staatliche Legitimation
Zusammenfassung
Ausgehend von der NSU-Terrorserie und der häufig als unzureichend empfundenen Ermittlungen, geht die Arbeit der Frage nach, inwieweit der NSU-Komplex hätte aufgeklärt werden müssen und ob die Opfer und Hinterbliebenen einen Anspruch auf Aufklärung haben. Hierzu wird zum einen die Rechtsprechung des EGMR zur staatlichen Ermittlungspflicht näher beleuchtet. Zum anderen wird gefragt, welche Rolle das Recht auf Wahrheit im europäischen Menschenrechtsschutz spielt. Beim Vergleich dieses Rechts mit der Untersuchungspflicht wird deutlich, dass auch die Ermittlungspflicht eine kollektive Dimension umfasst. Es gilt nun, den Umfang der Untersuchungspflicht vor diesem Hintergrund auszuloten und die Umsetzung im deutschen Strafprozessrecht zu überprüfen.
Abstract
Based on the NSU’s series of terror attacks and the investigations into them, which are often perceived as inadequate, this study examines the question of the extent to which the NSU’s network should have been investigated and whether the victims of the attacks and their next of kin have a right to clarification. To this end, the jurisprudence of the ECtHR on the state's duty to investigate is examined in greater detail. Secondly, the study asks what role the right to the truth plays in the European system of human rights. When this right is compared with the duty to investigate, it becomes clear that the duty to investigate also includes a collective dimension. It is now necessary to explore the scope of the duty to investigate against this background and to review its implementation in German criminal procedure law.
Schlagworte
- Kapitel Ausklappen | EinklappenSeiten
- 1–12 Titelei/Inhaltsverzeichnis 1–12
- 13–16 Abkürzungsverzeichnis 13–16
- 17–35 A. Einleitung 17–35
- 36–94 B. Der EGMR und die staatliche Aufklärung von Tötungsdelikten 36–94
- I. Grundlagen des europäischen Menschenrechtsschutzes
- 1. Der Menschenrechtsvertrag und die Institutionen
- 2. Die Auslegung der Konvention
- a) Das hermeneutische Leitmotiv
- b) Effektivitätssichernde Auslegung
- c) Autonome Begriffsinterpretation
- d) Dynamische Auslegung
- 3. Das Konzept der positiven Verpflichtungen
- II. Die staatliche Pflicht zu effektiven Ermittlungen aus Art. 2 EMRK
- 1. Ursprung der Ermittlungspflicht
- 2. Zweck und Umfang der Ermittlungen
- 3. Ermittlungsstandards
- a) Angemessenheit der Ermittlungen
- b) Unabhängigkeit der Ermittlungen
- c) Unverzügliche und schnelle Ermittlungen
- d) Öffentliche Kontrolle
- e) Die Einbeziehung der nächsten Angehörigen
- f) Das Zusammenspiel der einzelnen Ermittlungspflichten
- 4. Anwendungsfälle
- III. Das Recht auf Wahrheit
- 1. Das Recht auf Wahrheit im internationalen Kontext
- a) Vertragsrechtliche Kodifikationen
- b) Institutionen des weltweiten Menschenrechtsschutzes
- c) Das Recht auf Wahrheit im amerikanischen Menschenrechtsschutz
- d) Ein Definitionsversuch des Rechts auf Wahrheit
- 2. Das Recht auf Wahrheit im System des Europäischen Menschenrechtsschutzes
- a) Das Urteil El-Masri gegen die Ehemalige jugoslawische Republik Mazedonien und das Recht auf Wahrheit
- b) Sondervoten
- c) Kollektive Dimension und Aufklärungsumfang
- d) Die Konturen des Rechts auf Wahrheit nach Auffassung des EGMR
- 95–136 C. Die kollektive Dimension der staatlichen Ermittlungspflicht 95–136
- I. Die staatliche Pflicht zu effektiven Ermittlungen
- 1. Die Kontrolle der Ermittlungen durch die Öffentlichkeit
- 2. Die Ermittlungsanforderungen
- 3. Zweck der Ermittlungen
- 4. Die gesellschaftliche Bedeutung von Aufklärung
- 5. Das Vertrauen von Minderheiten
- 6. Beschwerdeführereigenschaft
- II. Der Geist der Konvention
- 1. Die Ideale und Werte einer demokratischen Gesellschaft
- 2. Das Grundprinzip der Rule of Law
- 3. Das Zusammenspiel von Vertrauenserhalt und Rechtstaatlichkeit
- III. Exkurs zu den staatsphilosophischen Grundlagen
- 1. Thomas Hobbes
- a) Der Naturzustand
- b) Die Suche nach dem Entkommen aus dem Kriegszustand
- c) Der Vertrag unter Gleichen
- 2. John Locke
- a) Der Naturzustand
- b) Die Konstitution der politischen Einheit
- c) Die Vertrauensbasis
- 3. Der Zusammenhang von staatlicher Schutzpflicht und Legitimation
- 4. Erkenntnisse für die Interpretation der EGMR-Urteile
- a) Umsetzung der Schutzgesetze
- b) Die Wahrung des öffentlichen Vertrauens
- 137–155 D. Ermittlungsumfang 137–155
- I. Ermittlung der strukturellen Umstände
- II. Rassismus als Tatmotiv
- 1. Besonders sorgfältige und entschiedene Ermittlungen
- 2. Die Untersuchung von rassistischen Tatmotiven
- a) Fälle mit staatlicher Beteiligung
- b) Fälle ohne eine staatliche Verstrickung
- c) Handlungspflicht, keine Erfolgspflicht
- 3. Die Feststellung einer materiellen Verletzung von Art. 14 EMRK
- 4. Definition von rassistischen Tatmotiven
- III. Die Verstrickung staatlicher Akteure
- 1. Das Urteil Avşar gegen die Türkei
- 2. Das Urteil Tahsin Acar gegen die Türkei
- 3. Das Urteil Emars gegen Lettland
- 4. Das Urteil Kolevi gegen Bulgarien
- 5. Das Urteil Enukidze und Girgvliani gegen Georgien
- IV. Der Umgang mit Ermittlungshindernissen
- 156–178 E. Die Umsetzung der staatlichen Ermittlungsplicht im deutschen Recht 156–178
- I. Die Verfahrensmaximen im deutschen Strafverfahrensrecht
- 1. Die Offizialmaxime
- 2. Das Akkusationsprinzip
- 3. Das Legalitätsprinzip
- 4. Der Ermittlungsgrundsatz
- II. Die Absicherung des Legalitätsprinzips
- 1. Verpflichtung zur Objektivität
- 2. Behördenstruktur und Dienstaufsicht
- 3. Strafandrohung
- 4. Klageerzwingungsverfahren
- 5. Schwachstellen bei der Wahrung des Legalitätsprinzips
- III. Die Relevanz der Nebenklage
- 1. Anschlussbefugnis
- 2. Rechtsmittelbefugnis
- 3. Die Rechte des Nebenklägers
- 4. Die Kontroll- und Aufklärungsfunktion der Nebenklage
- 179–184 F. Fazit 179–184
- 185–207 G. Literatur- und Quellenverzeichnis 185–207