Zusammenfassung
Alle reden von der fortschreitenden Polarisierung großer Gruppen der Gesellschaft. Eine sich fast unaufhaltsam öffnende „Schere zwischen Arm und Reich“ hat sich, kaum hinterfragt und durch statistische Fakten nur schwer zu irritieren, als Metapher eines kritischen Zeitgeistes zur Selbstverständlichkeit ausgeformt. Solidarität, dieses tätige Miteinander, soll den Ausweg weisen aus dem Irrweg eines entfesselten Individualismus wie gefährdeter sozialer Sicherheiten. Soziologen mischen in diesem Diskurs kräftig mit. Sie beschwören die Wiedergeburt der „Klassengesellschaft“ (Eribon), sympathisieren mit dem „Aufbegehren“ gegen die „Abstiegsgesellschaft“ (Nachtwey) oder preisen umgekehrt den Eigensinn einer aus „Singularisten“ bestehenden „neuen Mittelklasse“ gegen gleichförmige Erstarrungen (Reckwitz). Was bedeutet in diesem Kontext Solidarität in sich wandelnden Konfliktkonstellationen und neuartigen gesellschaftlichen Konfigurationen heute? Ist sie als vermeintlich bewährtes Handlungskonzept einer geeinten wie kämpferischen „Arbeiterklasse“ oder auch nur als ursprünglicher Markenkern des Gewerkschaftlichen herabgesunken auf den Status eines vergeblichen gesamtgesellschaftlichen Harmoniestrebens? Erschöpft sie sich gar in der Barmherzigkeitsethik christlicher Nächstenliebe? Der Autor erörtert diese Fragen zunächst in einer kritischen Auseinandersetzung mit Grundlinien neuerer soziologischer Studien zu gesamtgesellschaftlichen Strukturen und den darin eingeschlossenen Chancen sozialer Mobilität. Dabei legt er besonderen Wert auf die Klärung soziologisch gebräuchlicher Kategorien der Schichtungsanalyse vor dem Hintergrund solider erfahrungswissenschaftlicher Befunde. Dann führt er den Begriff der Solidarität auf seinen gewerkschaftlichen Ursprung zurück, um von da aus den Blick freizulegen auf sein recht widersprüchliches Bedeutungspotential in der aktuellen Debatte. Schließlich zeigt er, gestützt auf eigene empirische Erhebungen im Kreis von Nachwuchskräften für ehrenamtliche Gewerkschaftsarbeit, wie wichtig und zugleich beschwerlich Solidarität als organisierte wechselseitige Unterstützung in einer ausdifferenzierten Gesellschaft zu realisieren ist, wenn sie ihre Voraussetzungen ernst nimmt: das gleichrangige Aushandeln gemeinsamer Interessen. So gesehen ist und bleibt Solidarität so zerbrechlich wie die ganze Gesellschaft und das darin eingeschlossene alltägliche Miteinander.
- 1–7 Einleitung 1–7
- 262–272 Anhang 262–272
- 273–277 Literaturverzeichnis 273–277