Zusammenfassung
Der neunte Band der "Projektionen" untersucht in mehreren Beiträgen aus film- und literaturanalytischer Perspektive die Figur des Verräters: als Liebes- und als Landesverräter, als Spion und Hochstapler, als Kronzeuge oder als Denunziant und legt dabei die Facetten einer quecksilbrigen Praxis des Überlaufens, des Transitorischen, des Wechsels und des Überlebens frei.
Cäsar, einem notorischen Verräter, wird das Wort zugeschrieben: "Proditionem amo, sed proditores non laudo" - wohl liebe er den Verrat, doch die Verräter wolle er deshalb nicht loben. Wer verrät, der verletzt das Vertrauen als Grundbedingung des sozialen Lebens, aber er beugt auch der Erstarrung vor - ohne Verrat, so scheint es, ist Veränderung nicht zu haben. Aber über keinen wird schneller der Stab gebrochen, keinen verachten wir so sehr wie den, der seinen Freund, seine Liebste, seine Sache, sein Land oder den Parteigenossen verrät. Ihm traut keiner über den Weg – es ist die Tragik des Verrats, unvermeidlich zu sein, und die Tragödie des Verräters, seines Lohns nicht froh zu werden. Die düsteren Heroen des Verrats heißen Don Juan oder Judas Ischariot – der eine, ein eitler Geck mit Mantel, Degen und Schnallenschuhen, ist der Virtuose der Lieblosigkeit, der andere, ein religiöser Fanatiker, hat seinen Meister für schäbige 30 Silberlinge verkauft. Solchen infernalischen Gestalten stellen sich als eher unscheinbare, verkommene Zwillingsbrüder Spione, Denunzianten oder Kronzeugen zur Seite. Mittlerweile aber kann, ernüchtert vom Totalitarismus des 20. Jahrhunderts, der Verräter sogar Heldenformat gewinnen: sei es als Abweichler, als Renegat oder Revisionist oder eben als Whistleblower, der im Alleingang die Perfidie eines Überwachungsstaates enthüllt.
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