Zusammenfassung
Im vorliegenden Buch wird der Frage nach dem möglichen Zusammenhang zwischen Schrift und Verhalten nachgegangen, und zwar aus einer interdisziplinären Perspektive. An den philosophischen Problemlagen der Kraft der Sprache (Austin) ansetzend, werden Bedeutungsprozesse (Derrida) als Metaphern für die Produktion des Sozialen analysiert. Damit einher geht der Versuch, die hartnäckige, immer noch bestehende Schriftvergessenheit heutiger Sozialtheorie (am Beispiel von Habermas, Bourdieu und Butler) zu überwinden. Zwei Schriftparadigmen werden gegeneinander abgewogen, um die Rolle der Schrift in der Produktion sozialer Ordnung zu erklären: Ansätze des sogenannten Überlieferungsparadigmas der Schrift, nämlich die erste Generation der Schriftforschung (Havelock, McLuhan, Goody und Ong), das Mündlichkeits-Schriftlichkeits-Paradigma, Luhmanns Systemtheorie und die funktionale Pragmatik von Ehlich und Rehbein werden kritisch erörtert, um die Umstellung auf ein Dokumentationsparadigma der Schrift zu rechtfertigen, welches anhand von Bruno Latours Inskriptionstheorie skizziert wird. Durch das vorgeschlagene Dokumentationsparadigma der Schrift wird einerseits das Verständnis der Schrift als Kommunikationsmedium zwischen Abwesenden, andererseits der konstitutive Individualismus-Bias der Schriftforschung definitiv verabschiedet. In den institutionellen Räumen, in denen Dokumente kollektiv erstellt werden müssen, gründet Schrift Sozialität; dort erbringt sie ihre Vergesellschaftungsleistung dadurch, dass Kognitionen, Wahrnehmungen, Interaktionen und die unterschiedlichsten sprachlichen und nicht sprachlichen Handlungen kraft des zu produzierenden Dokuments synchronisiert werden. Dies strukturiert das menschliche Verhalten, so entsteht soziale Ordnung.
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