Zusammenfassung
Die Gründung des Europäischen Forschungsrates (ERC) im Jahre 2007 gilt als der politische Big Bang in der Forschungs- und Technologieförderung der Europäischen Union. Der ERC bewerkstelligt zum ersten Mal das, was der Europäischen Kommission mit ihrer Ausrichtung auf ökonomisch nützliche und politisch zweckgebundene Ziele bisher versagt geblieben war: wissenschaftlich selbstbestimmte »Grundlagenforschung« zu fördern. Forschungsthemen werden von Wissenschaftlern definiert, Fördergelder sind nicht politisch proportioniert, das Begutachtungsverfahren (»peer review«) richtet sich ausschließlich nach wissenschaftlichen Gütekriterien. Das vorliegende Buch liefert erstmals umfassende Hintergründe zur Entstehung des Europäischen Forschungsrates und verbindet historische, wissenssoziologische und politikwissenschaftliche Ansätze. Anhand der historischen Strukturen trans- und supranationaler Forschungsförderung erklärt der Autor, wie die EU-Forschungspolitik aufgrund der Legitimationsanforderungen an den gesellschaftlichen Nutzen der Wissenschaft und der Europäischen Union selbst bereits früh auf einen »Marktimperativ « zugerichtet wurde – die Existenzberechtigung einer europäischen Institution zur Förderung von Grundlagenforschung erschien somit unwahrscheinlich. In einer interpretativen Policy-Analyse wird die konkrete Entstehung des ERC im Zeitraum von 1994 bis 2007 rekonstruiert. Die wirtschaftliche und politische Zweckkonditionierung der EU-Forschungspolitik, gegen die die Idee des ERC gerichtet war, stellte paradoxerweise das Nadelöhr dar, durch das alle Forderungen nach einer EU-finanzierten Grundlagenforschung hindurch mussten. Das Brüsseler Tabu wissenschaftlich selbstbestimmter Grundlagenforschungsförderung wird vordergründig performativ durch den US-amerikanischen Begriff »Frontier Research« umgangen. Hinter der Indienstnahme der »aggressiven« Frontier-Semantik steckt jedoch mehr: Mit ihr wird eine Leitunterscheidung von Grundlagen- und anwendungsorientierter Forschung negiert, ein fragwürdig individuelles Wettbewerbsprinzip in der Wissenschaft heroisiert und eine ebenso fragwürdige geostrategische Abgrenzung Europas gegenüber globalen Konkurrenzregionen gefestigt. Die dahinterliegende soziale Problembewältigung europäischen Regierens zeigt der Autor anhand einer wissenssoziologisch-hermeneutischen Analyse der in diesen Prozessen zur Geltung kommenden sozialen Deutungsmuster auf.
- Kapitel Ausklappen | EinklappenSeiten
- 9–12 Vorwort 9–12
- 13–22 1. Einleitung 13–22
- 325–334 7. Fazit und Ausblick 325–334
- 335–374 Literaturverzeichnis 335–374
- 375–376 Abbildungsverzeichnis 375–376