Zusammenfassung
Sollte Wahrheit, wie formuliert worden ist, wirklich die „Erfindung eines Lügners“ sein, so läge auf der Rede von Wahrheit im Recht eine doppelte moralische Hypothek. Wahrheitsansprüche im Recht sind mit Legitimationsansprüchen untrennbar verknüpft. Eine Entscheidung, die sich auf die Wahrheit der ihr zugrundeliegenden Rechtsbehauptung berufen kann, ist nicht mehr in Zweifel zu ziehen.
Die Arbeit versucht, die Frage nach der Berechtigung von Wahrheitsansprüchen im Recht sowohl erkenntnistheoretisch als auch in Hinblick auf ihre praktische Bedeutung zu beantworten. Während die theoretische Analyse die Unhaltbarkeit der Theorie der „einzig richtigen Entscheidung“ (Dworkin) bestätigt, ergibt sich auf der Ebene der Funktionsanalyse ein differenziertes Bild. In bestimmten institutionellen Kontexten des Rechts ist die Vorstellung einer einzig richtigen Entscheidung als regulative Idee unverzichtbar. So beruht die Kontrolle von Verwaltungsentscheidungen durch Gerichte, aber auch die Überprüfung von Gerichtsurteilen im Instanzenzug auf dem Gedanken, dass es in jedem Fall eine und nur eine richtige Entscheidung gibt. Auf der anderen Seite gerät das Modell der einzig richtigen Entscheidung dort zur schlechten Fiktion, wo es, wie etwa im Bereich der Rückwirkung von Rechtsprechungsänderungen der Strafgerichte, zur Verkürzung von Grundrechtspositionen des Bürgers eingesetzt wird.