Zusammenfassung
Die Mechanik der „legalen Beweistheorie“, die das deutsche Verfahrensrecht bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts beherrschte, sollte die Wahrheit eines zu beweisenden Umstandes mit legaler Strenge und arithmetischer Folgerichtigkeit errechenbar machen. Wie konnte sie – scheinbar plötzlich – durch die uns heute vertraute „freie Beweiswürdigung“ des nach seiner subjektiven Überzeugung urteilenden Richters ersetzt werden? Sollte sich etwas Grundlegendes an Natur und Bedeutung des richterlichen Tatsachenwissens geändert haben? Haben etwa ein postkantisches Wahrheitsverständnis und eine gewandelte Auffassung gesellschaftlichen Wissens eine Rolle bei diesem bedeutenden justizgeschichtlichen Vorgang gespielt? Diesen Fragen geht die Studie auf ihrer Suche nach der „juristischen Wahrheit“ am Beispiel von Zivil- und Strafgerichtsbarkeit nach – und umreißt dabei eine Wissensgeschichte des Beweises im 19. Jahrhundert.